Wie kann ich normal sein?
Wie kann ich normal sein? Eine Frage, die für manche Menschen seltsam klingt. Für andere wiederum mit enormen Herausforderungen verbunden ist. Gerne möchte ich in diesem Beitrag folgende Fragen klären:
- Warum ist es so toll, normal zu sein?
- Was bedeutet es, normal zu sein?
- Was kannst du tun und lassen?
Ich habe versucht, mich kurz zu fassen und nicht zu viele Themen aufzumachen, aber: liebe:r Leser:in, das Thema ist mir sehr wichtig!
Warum ist es so toll, normal zu sein?
Aus meiner Klient:innenarbeit weiß ich, dass der Wunsch, „normal zu sein“, sehr groß ist. Meist liegt dahinter das Bedürfnis nach Zugehörigkeit – und dem Mangel dessen.
Anders, als der Durchschnitt zu sein, wird in der Gesellschaft nicht immer positiv aufgenommen. Dadurch kann das Gefühl entstehen, nicht Teil einer (Peer-)Gruppe zu sein. Das Bedürfnis nach Zugehörigkeit ist allerdings wichtig für unsere psychische Gesundheit und wird so zur Herausforderung.
Doch was bedeutet es überhaupt, normal zu sein?
Was als Normalität gilt, ist sehr individuell, abhängig von:
- Werten
- Normen
- Kultur
- persönliches Umfeld
in denen wir aufwachsen.
Zwei (plakative) Beispiele:
Maria findet es toll von Montag bis Freitag in einem angesehenen Job zu arbeiten, ist verheiratet, hat 2 Kinder und ist dabei, sich ein Haus zu bauen, Sonntags trifft sie sich mit ihrer Familie, sonst bleibt jedoch wenig freie Zeit. Maria ist das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit wichtig, sowie eine klare Struktur ihres Alltags.
Luna wiederum schläft gerne aus, hangelt sich von Minijob zu Minijob, um die Rechnungen zu bezahlen, geht täglich ins Fitness Studio, trifft sich viel mit Freund:innen und geht gerne am Wochenende feiern. Luna ist das Gefühl von Freiheit und Unabhängigkeit wichtig, sowie eine flexible Einteilung ihres Alltags.
Zwei unterschiedliche Geschichten und Lebensstile. Keine davon ist besser oder schlechter und bestimmt hast du dich in einer der Geschichten wiedergefunden, oder? Und vielleicht würde dir das Eine oder Andere aus der jeweils anderen Geschichte auch gefallen? Und auch das darf sein.
Doch was passiert jetzt, wenn sich Maria und Luna treffen und sich über ihre Leben unterhalten?
- Maria könnte eifersüchtig werden, weil sie das Gefühl der Freiheit vermisst. Sie könnte sich ausgeschlossen fühlen, weil sie weniger Kontakt zu gleichaltrigen hat und sich abgekapselt zum Rest der Welt fühlt. Aus Frust darüber könnte sie sich Luna gegenüber unfair verhalten und sie nicht ernst nehmen, auslachen.
- Luna könnte auch eifersüchtig werden, weil sie sich nach mehr Sicherheit in einer Familie sehnt und Maria auch um ihr tolles Haus beneidet. Luna würde sich Maria gegenüber ebenfalls unfair verhalten und ihr das Gefühl geben, dass sie in ihrem Leben feststeckt.
Jede/r bringt seine eigene Lebensgeschichte mit sich. Das bedeutet, dass es auch ganz eigene Gründe haben kann, weshalb nun der Wunsch nach Normalität da ist. Und das ist auch nicht weiter schlimm. Wichtig ist, genau hinzuschauen, was einem dieser Wunsch eigentlich sagen will.
Gerade Menschen, die Diskriminierungen erfahren haben, werden sich in diesem Thema wiedersehen. Diskriminierungen gehen direkt ins Herz, führen zu dem Verlust des Zugehörigkeitsgefühls oder führen zur Infragestellung der eigenen "Normalität". (Pfui, für die Diskriminierung auf dieser Welt!)
Von Außen betrachtet, klingen die Geschichten von Luna und Maria sehr realistisch, sehr „normal“. Sie kommen immer wieder in unserer Gesellschaft vor. Doch mittendrin kann es passieren, dass man sich plötzlich gar nicht mehr so normal fühlt – oder eben das Bedürfnis nach Zugehörigkeit nicht erfüllt wird.
„Individuell ja, aber bitte nicht zu viel!“ [Sarkasmus-Ende]
Das Gefühl der Zugehörigkeit haben wir also dann, wenn wir uns in unserem Denken, Handeln, Verhalten, äußeren Erscheinungsbild unserem Umfeld ähneln, die Differenzen aber nicht über- oder unterdurchschnittlich sind. Was genau dieses „durchschnittlich“ sein soll, ist jedoch schon wieder problematisch. Denn mal ehrlich: wer möchte schon durchschnittlich sein?
Und damit sind wir beim Dilemma mit der Individualität, die zumindest in Europa augenscheinlich gelebt wird. Denn wer bestimmt, was normal ist, wer dazugehört und wer nicht? Ganz schwieriges Thema auf persönlicher und gesellschaftlicher Ebene, das noch nicht ausgefochten ist. In meiner Praxis sehe ich jedoch allzu oft das Leiden, das es verursacht.
Sei, wie du bist!
Fazit zur Frage, was man tun kann, wenn man sich „nicht normal“ fühlt: es ist kompliziert. Auch, weil es oft mit anderen Themen zusammenhängen kann, wie das in der Psychologie oft der Fall ist. So kann es zum Beispiel mit folgenden Themen zusammenhängen und gehört individuell abgeklärt/ besprochen: Selbstbewusstsein, andere unerfüllte Bedürfnisse, fehlende Integration unerwünschter Anteile oder persönlichen Lebensgeschichten.
Wichtig: wenn du den Wunsch nach dem „normal sein“ verspürst – höre genau hin, um was es geht und hole dir bei Bedarf Hilfe.
Was du tun kannst…
… um andere zu Stärken, statt sie klein zu machen, zu diskriminieren und bleibende Schäden anzurichten:
- Urteile nicht über andere.
- Werte andere nicht ab – durch auslachen oder negative Kommentare.
- Akzeptiere andere, auch wenn jemand nicht deinen Werten entspricht.
- Sprich deine Gefühle und Gedanken aus, wenn es dir schwer fällt, andere Werte, Normen, Lebensstile zu akzeptieren. So gibst du deinem Gegenüber nicht das Gefühl, dass mit ihr/ ihm etwas nicht in Ordnung ist.
- Sei neugierig – vielleicht lernst du ja etwas Neues.
Übrigens: Das Streben nach Zugehörigkeit ist nicht nur ein Inneres, sondern auch ein Äußeres und findet sich auch in unserer Kleidung wieder. Beobachte dich und dein Umfeld doch einmal, was ihr an Gemeinsamkeiten im Kleidungsstil habt!
*oft bedeutet nicht immer! Es kann natürlich auch andere Ursachen haben!